Die Großeltern begleiten? Ehrensache.
Anna war 22, als ihre Oma starb. Sie begleitete sie und half auch bei der Pflege zu Hause mit. Zwei Jahre später starb Annas Opa. Auch er konnte daheim sterben, liebevoll umsorgt von der Familie. Wenige Wochen nach seinem Tod hat Anna uns erzählt, wie sie diese intensive Zeit erlebt hat. Lest hier Annas Geschichte.
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So hat Anna ihre Großeltern begleitet
Anna studiert Architektur in Berlin; ihre Familie lebt in München. Als wir Anna treffen, ist sie 24. Vor gerade mal drei Wochen starb ihr Großvater. Kann sie jetzt schon über ihre Erfahrungen reden? Es fällt ihr nicht leicht, aber sie möchte teilen, was sie erlebt hat. Auch, damit noch viel mehr Menschen erfahren, wie es ist, wenn ein geliebter Mensch zu Hause stirbt – und wer die Angehörigen unterstützt. „Ich muss sicher weinen“, sagt Anna am Anfang, „aber das ist okay.“ Und dann beginnt sie zu erzählen:
„Ich habe eine sehr liebe Familie. Liebe war immer präsent, von Eltern, Tante, Onkel, Geschwistern und vor allem meinen Großeltern. Bei ihnen war ich fast jedes Wochenende. Es war ein sehr heimeliges Gefühl, ich hatte eine behütete, fröhliche Kindheit. Meine Großeltern waren ziemlich jung, wir konnten viel gemeinsam machen, spielen, malen, backen, radeln, Sport.
Anna gibt selbst den Anstoß für die Pflege daheim
Meine Großmutter hatte schon mit Mitte 50 eine Krebserkrankung. Sie hat sich erholt, aber im Laufe der Jahrzehnte kam der Krebs immer wieder zurück, er befiel immer mehr Organe. Meine Oma wurde operiert, bekam eine Chemotherapie und Bestrahlungen. Als sie dann wieder einen Rückfall hatte, wollte sie keine Behandlung mehr.
An der Uni hatte ich in einer Ringvorlesung (= eine Vorlesungsreihe, die sich um ein Thema dreht, aus Sicht von verschiedenen Fachbereichen) erfahren, dass man medizinisch gut versorgt zu Hause sterben kann. Hospiz- und Palliativdienste machen das möglich. Sie unterstützen die schwerkranken Menschen und ihre Angehörigen. Ich habe dann im Web recherchiert und angeleiert, dass wir eine palliative Betreuung für meine Oma bekommen.
Kurz erklärt: ambulante Hospiz- und Palliativversorgung
Die meisten Menschen möchten zu Hause sterben. Ambulante Hospiz- und Palliativdienste unterstützen schwerkranke Menschen und alle, die sich um sie kümmern. (Das kann die Familie sein, aber auch der Freundeskreis oder die Nachbarschaft. Und natürlich Hausärztin, Hausarzt und Pflegedienste.) Die Hospiz- und Palliativprofis können Schmerzen, Übelkeit, Atemnot lindern. Sie vernetzen alle, die helfen wollen, sind an ihrer Seite und beraten zu allen Fragen. Auch ehrenamtliche Hospizkräfte sind eine wichtige Stütze.
Tiefer einsteigen: Erfahre hier mehr über die Hospiz- und Palliativversorgung
Rat und Hilfe: Hier finden du und deine Familie Hospizvereine, Hospize, Palliativstationen und ambulante Hospizdienste in Bayern: Adressen.
Wir bekamen eine Betreuerin, Frau Knoll (lest hier ihr Porträt), tolle Ärzte, ein tolles Pflegeteam. Sie hatten viel Zeit für uns, haben uns beraten, alles Wichtige erklärt, die Pflege organisiert, meine Oma mit einer Schmerzpumpe versorgt. Sie musste nur auf einen Knopf drücken – oder wir, als sie es nicht mehr selbst konnte –, dann floss das Schmerzmittel direkt in ihren Blutkreislauf. Wir hatten das Gefühl, der Hospizdienst will das Beste für meine Großmutter: nämlich das, was sie selbst sich wünscht.
Ich studiere und arbeite in Berlin. Alle zwei Wochen kam ich zu meiner Oma nach München. Ich habe einfach Zeit mit ihr verbracht. Und ich habe viel abgeguckt bei den Pflegekräften und dann auch bei der Pflege ausgeholfen, notfalls auch die Windeln gewechselt.
„Ich hatte schon eine gewisse Angst: um meine Großeltern. Und davor, dass ich nicht beim letzten Atemzug dabei bin. Oder dass ich dabei bin. Und Angst vor dem Verlust, vor der Leere.“
Es war schwer und es war eine Ehre
Es war schwer, meine Oma zu begleiten, auch bei den letzten Metern. Ich war dabei, als sie das letzte Mal zur Toilette gehen konnte, zum letzten Mal durch die Wohnung gegangen ist, mit der Hand über ihre Möbel gestrichen hat. Ich habe von meinen Großeltern so viel Liebe erfahren: Es war für mich eine große Ehre, sie zu begleiten und ihnen so Liebe wiedergeben zu können.
„Was schön war: Ich habe dazu beigetragen, dass meine Großeltern in Ihrem Zuhause sterben konnten und nie allein waren. Und: den Zusammenhalt in unserer Familie zu erleben. Auch in den stillen, traurigen Momenten.“
Meine Oma ist kurz vor Weihnachten gestorben. Ich war gerade in Berlin. Sie starb mit meinem Opa, meiner Mutter und meiner Tante an ihrer Seite. Ich bin überzeugt: Sie hätte nicht loslassen können, solange wir Enkel bei ihr waren. Sie wollte uns den Schmerz nicht antun.

Mit den Großeltern garteln: für Anna eine schöne Erinnerung. Für unser Gespräch trafen wir Anna im Hospiz des Christophorus Hospiz Vereins (CHV) München. Hier werden Menschen betreut, die – anders als Annas Großeltern – nicht zu Hause sterben können. Der Hospizgarten bietet Ihnen eine Auszeit. Hier können sie durchatmen, Sonne, Wind und Regen spüren, sich über Kräuterdüfte freuen.
Mein Opa war nach dem Tod seiner Frau tief, tief traurig. Aber er hatte einen großen Lebenswillen, obwohl er selbst sehr krank war. Zwei Jahre später wurde er zum letzten Mal aus dem Krankenhaus nach Hause entlassen. In den Semesterferien kam ich nach München, um bei ihm zu sein.
Wir hatten früher nie Körperkontakt. Auf seinem Sterbebett hat sich das geändert. Ich habe ihm täglich den Rücken gewaschen, ihn eingecremt, massiert, die Haare frisiert. Einmal waren nur wir beide im Haus, als mein Opa dringend aufs Klo musste. Allein konnte ich ihn nicht stützen; also musste er in die Windel machen. Vor solchen körperlichen Dingen hatte ich viel Respekt. Aber das sind Dinge, die eben getan werden müssen. Es ist wie bei einer Geburt. Die kann auch dreckig sein.
Ob Fragen oder brenzlige Situation: der Hospizdienst hilft
In Situationen, die uns brenzlig erschienen, konnten wir den Hospizdienst anrufen, immer, rund um die Uhr. Auch zuletzt, als mein Opa starkes Nasenbluten bekam, das nicht mehr aufhörte. Frau Knoll vom Hospizdienst hat uns erklärt, dass Opas Organe nicht mehr funktionieren und er jetzt stirbt. Diese klaren Worte taten gut. Was sie uns auch sagte: Dass wir auf uns selbst achten sollen. Ich war jeden Tag bei meinem Opa, aber ich habe mir auch Zeit für mich genommen, bin rausgegangen.
Mein Opa fiel ins Koma und wurde nicht mehr wach, bis er starb. Tröstlich war für uns der Gedanke, dass er jetzt vielleicht wieder mit meiner Oma vereint ist. Und es war schön, den Zusammenhalt in unserer Familie zu erleben, auch in den stillen, traurigen Momenten. Die Saaten meiner Oma tragen Früchte.“
Was Anna für sich mitnimmt
Anna hat sich vorgenommen, in der Familie über das Sterben zu reden. Gemeinsam konnten sich zwei Generationen die Pflege der Großeltern gut aufteilen. „Ich weiß nicht, wie das ist, wenn man Vollzeit arbeitet. Aber ich würde es natürlich auch irgendwann meinen Eltern ermöglichen, zu Hause zu sterben.“ (Sterben zu Hause? Ganz unten findet ihr Links zu Erfahrungen und Standpunkten von Hospiz-Profis).

Wo möchte ich sterben: zu Hause, im Krankenhaus, im Pflegeheim? Anna hat im engsten Familienkreis erfahren, was möglich und machbar ist. Anna: „Ich habe erlebt: Beides kann gut zu Hause funktionieren, das leise und das laute Sterben. Beide Beispiele meiner Großeltern waren für mich so, dass ich denke: Das könnte ich mir auch mal für mich vorstellen.“
Ein geliebter Mensch stirbt? Annas Tipps für junge Angehörige
- Habt keine Scheu vor dieser Erfahrung. Sie gehört zum Leben dazu.
- Fühlt Eure Emotionen. Gefühle dürfen sein.
- Achtet auch auf Euch. Nehmt Euch Zeit für Euch selbst, geht zwischendurch raus. Das hat mir gutgetan.
- Was Ihr macht, ist gut genug. Macht euch keine Vorwürfe, wenn Ihr nicht dabei sein wollt oder könnt.
- Redet in Eurer Familie übers Sterben. Fragt nach, was sich andere Familienmitglieder wünschen. Fragt Euch auch selbst. Ob es dann mal eine ambulante Hospizversorgung wird, kann man entscheiden, wenn es soweit ist.
„Wenn ein geliebter Mensch stirbt und Ihr Euch fragt, ob Ihr ihn oder sie begleiten könnt: Traut Euch etwas zu! Habt Mut und Selbstvertrauen. Aber macht das (und nur das), was sich für Euch gut und richtig anfühlt.“