Frau B. möchte sterben, wie sie gelebt hat.

Gertrud B. hat Lungenkrebs und Metastasen an der Wirbelsäule. Eine ihrer Töchter betreute sie zu Hause. „So lange es halt ging.“ Als die Schmerzen Gertrud B. zermürbten und sie zunehmend mehr Pflege brauchte, überwies ihr Arzt sie an eine Palliativstation. Dort bekam sie unter anderem eine Schmerzpumpe implantiert, die dem Körper regelmäßig Medikamente zuführt. Anschließend wurde sie in ein stationäres Hospiz verlegt. Etwa acht Tage hatten ihr die Ärzte noch gegeben. Das ist jetzt gut drei Monate her.

Leben verlängern: das ist nicht das Ziel. Aber es kommt vor

Die Hospiz- und Palliativbewegung strebt nicht an, Leben zu verlängern. „Nicht dem Leben mehr Tage geben, sondern den Tagen mehr Leben“ ist das berühmte Motto. Mehr Lebensqualität ist das Ziel – bis zum letzten Tag. Nicht selten können Menschen im Hospiz jedoch wieder Kraft schöpfen, wenn die quälenden Symptome ihrer Erkrankung gelindert sind, die Schmerzen, Übelkeit oder Atemnot, wenn die Angst nachlässt und sich jemand um die Sorgen kümmert. Dann kann es vorkommen, dass ein Mensch noch Wochen oder Monate länger – gut – lebt. Und manchmal passiert es sogar, dass jemand, der, vom nahen Tod gezeichnet, sein Bett im Hospiz bezog, nach einer Weile nach Hause entlassen wird und dort noch ein, zwei Jahre leben kann.

Ich bin schon oft verzweifelt. Aber dann …

2013 bekam Gertrud B. die Diagnose Lungenkrebs. „Der Tumor war nicht operabel, weil er so dicht an der Luftröhre und der Speiseröhre sitzt. Deshalb wurde eine Strahlentherapie gemacht. Ich hatte über 70 Bestrahlungen. Das war sehr, sehr anstrengend. Aber ich war froh, dass der Tumor nicht gestreut hatte. Doch nach zwei Jahren habe ich dann wahnsinnige Rückenschmerzen bekommen. Da wurden Metastasen an der Wirbelsäule festgestellt.“ Irgendwann schaffte ihre Tochter es nicht mehr, Gertrud B. zu Hause zu betreuen. Heilfroh war die Familie, dass es einen Platz für Gertrud B. auf einer Palliativstation gab und dann im Hospiz. Als Gertrud B. dort ankam, fühlte sie keine Lebenskraft mehr. „Man hat gedacht, dass ich noch acht Tage habe. Inzwischen habe ich mich ganz gut erholt. Die Schmerzen habe ich im Griff. Nur mit dem Laufen ist nicht mehr so viel los. Ich schaffe nur noch ein paar Schritte mit dem Rollator, wenn die Physiotherapeutin dabei ist.“

„Du wirst hier nicht wie ein Ding behandelt. Man ist ja ein Mensch.“

Ein seltsames Gefühl. Da legt man sich zum Sterben ins Hospizbett und lebt dann einfach weiter. „Das war am Anfang schwer anzunehmen. Ich war ja ein Leben lang eine toughe Frau. Jetzt liege ich hier und schaue zum Fenster raus. Das muss man auch lernen“, sagt Gertrud B. Angst vor dem Sterben hat sie nicht. Was zu erledigen war, hat sie erledigt. Sie ist jetzt 81. Das Alter hatte sie sich anders vorgestellt, natürlich. Ein paar Jahre mit ihren Töchtern hätte sie gerne noch genossen, den Kindern noch eine Weile beim Großwerden zugesehen. Trotzdem, sie wäre jetzt bereit. „Ich warte ja schon, dass mich der Boandlkramer holt. Aber er mag mich halt noch nicht. Ich bin schon oft verzweifelt. So ist das nicht. Aber dann muss man sich selbst einen Tritt in den Hintern geben.“ Was ihr hilft, ist die Haltung aller Menschen, die auf der Station arbeiten. „Du wirst hier nicht wie ein Ding behandelt. Man ist ja ein Mensch.“

Porträt: Patientin und Pflegekraft sehen einander verschmitzt an.

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Pressieren tut hier sowieso nix

Das Leben im Hospiz ist für Gertrud B. längst Alltag. „Um acht Uhr wache ich auf. Dann gehe ich ins Bad. Ich brauche für alles dreimal so lange wie früher, aber eine Schwester hilft mir. Dann frühstücke ich, ganz in Ruhe. Pressieren tut auf dieser Station sowieso nix. Vormittags habe ich Therapie, Lymphdrainage, Rollatortraining … Und dann ist schon bald Mittagessen. Danach halte ich mein Mittagsschläfchen. Ich kann sehr gut und viel schlafen, ganz ohne Tabletten. Tagsüber schaue ich nicht fern. Aber ich lese natürlich die Tageszeitung. Und ich bekomme viele Anrufe. Also: langweilig ist mir nie. Am Abend schaue ich dann die Tagesschau. Ich interessiere mich fürs große Weltgeschehen. Und da oben“ – Frau B. tippt sich an die Stirn – „stimmt’s zum Glück noch einigermaßen.“

Es liegt auch an einem selbst

Gertrud B. blickt auf ein Leben zurück, das mit „aktiv“ recht zaghaft beschrieben ist. Nach der Schule machte sie eine Ausbildung zur Metzgereiverkäuferin. Ihr Traumberuf war das nicht. „Wir waren halt nicht mit Gold behangen von zu Hause aus. Da musste man schnell in die Lehre.“ Sie lernte ihren späteren Mann kennen, gründete eine Familie, übernahm eine Metzgereifiliale. Ums erste Baby kümmerte sich ihre Mutter. Vier weitere Kinder bekam Gertrud B. Ihr einziger Sohn starb mit 18 Jahren bei einem Unfall. Die Töchter wuchsen heran und brachten ihre Freunde ins Haus. „Das ist ein altes Gesetz: Die Mädeln ziehen die Buben mit; als Mutter von Töchtern bekommt man immer die Schwiegersöhne dazu.“ Schon kamen die ersten Enkelkinder; die Familie wuchs und gedieh. Für Gertrud B. stand sie immer an der ersten Stelle. Auch, als sie sich irgendwann scheiden ließ und mit über 50 Jahren noch einmal von vorne anfing, im Büro. Ihre letzten 15 Berufsjahre arbeitete sie als Sekretärin. „Ich habe mich immer durchgebissen.“

2001 hatte Gertrud B. schon einmal eine Krebserkankung. Nierenkrebs. Mit dem Tumor musste auch eine Niere entfernt werden. Danach galt Frau B. als geheilt. „Der Tumor hatte nicht gestreut. Die Niere ist ja was Kompaktes.“ Nachdem sie die Krankheit überstanden hatte, lud ihre jüngste Tochter sie zum einem Urlaub ein, in ihr Sehnsuchtsland, Italien. „Das hat sich dann so beibehalten. Bevor ich hier drinnen war, im Hospiz, war ich nochmal in Italien mit meiner Tochter und ihren Kindern. Die andere Tochter kam dann dazu, als Überraschung, und dann die nächste … Das sind für mich die Highlights.“

„Es liegt auch an einem selbst. Man muss sich in jungen Jahren etwas aufbauen, das man ins Alter mitnehmen kann.“

„Es liegt auch an einem selbst. Man muss sich in jungen Jahren etwas aufbauen, das man ins Alter mitnehmen kann“, sagt Gertrud B. und meint nicht das Finanzielle, sondern das, was ein Leben erfüllt. Die Kontakte zu anderen Menschen, in der Familie und darüber hinaus, das soziale Netzwerk. Gertrud B. hat nicht nur vier Töchter, dreizehn Enkelkinder ud sechs Urenkel, sondern auch einen großen Bekanntenkreis. Zum Beispiel die Damen, mit denen sie sich viele Jahre lang zum Kartenspielen getroffen hat. Einige besuchen sie regelmäßig im Hospiz. Und das Telefon klingelt sowieso andauernd.

Und wenn er dann doch kommt, der Tod?

Und wenn er dann doch eines Tages kommt, der Tod? „Ich habe eigentlich schon immer geglaubt, dass es nach dem Sterben weitergeht. Ich war ein gläubiger Mensch, kein bigottischer. Aber jetzt zweifle ich manchmal. Andererseits: Ich kann mir nicht vorstellen, dass das alles war, diese Sekunde im Weltgeschehen, die man da war.“

Sterben jedenfalls möchte Gertrud B. wie sie gelebt hat: auf keinen Fall allein. „Mein größter Wunsch ist, dass jemand bei mir ist und mir die Hand hält, wenn ich die Augen zumache. Am liebsten jemand von meiner Familie.“

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